Die Schulter- bzw. Widerristhöhe des Hundes ist ein charakteristisches Merkmal der jeweiligen
Rasse. Die Größe bestimmt das rassetypische Erscheinungsbild entscheidend mit, ist aber auch
gleichzeitig wichtiges Kriterium für die Nutzung.
Im Freizeitbereich dominieren mittlerweile kleine Rassen, im Gebrauchshundesektor ist, je nach
Einsatzbereich, ein weites Spektrum gegeben. Als Rittmeister v. Stephanitz aus den Hütehunden die
Basistiere für den Deutschen Schäferhund aussuchte, hatte er den mittelgroßen Gebrauchshund im
Visier, der für eine Vielzahl von Einsatzbereichen geeignet ist. Die Intelligenz, der Gehorsam, die
Ausbildbarkeit
und die Kooperationsbereitschaft sind elementar für die Arbeit an der Herde. Darüber hinaus ist
die natürliche Wachsamkeit, verbunden mit einem ausgeprägten Schutzinstinkt, eine gute Basis für
die Diensthundeeignung gewesen. Den vielfältigen
Talenten Rechnung tragend, auch als Suchenhund, Fährtenhund, Rettungshund oder Blindenhund, wurde
der Standard des Deutschen Schäferhundes formuliert und festgeschrieben, praktisch als Norm für die
Gestaltung der Rasse in der Zucht.
Die Größe wird dort explizit genannt: Hündinnen von 55 – 60 cm, Rüden von 60 – 65 cm. In diesem
Variationsbereich sollte es möglich sein, alle Einsatzbereiche optimal zu meistern. Die Hündinnen
sind ca. 8 % kleiner als die Rüden, das ist in nahezu
allen Rassen gleich.
Heute beobachtet man, dass der Deutsche Schäferhund allmählich und stetig größer wird und mehr
und mehr aus den ‚Grenzen des Standards ausbricht. Vor allem im Schau-Sektor sind die großen,
stattlichen Rüden im Vorteil und Hündinnen, die sich der Rüdengröße nähern, sind bevorzugt. Das
führt zu schleichendem Zuchtfortschritt in der Größe. Dass Richter bei übergroßen Hunden, die aber
ansonsten in Exterieur und Wesen überzeugend sind, großzügig die Schulterhöhe abrunden und nicht
die Hunde von der Zucht ausschließen, ist eigentlich verständlich.
Als sich der jetzige
Vereinszuchtwart Lothar Quoll um das Amt bewarb, hatte er umfangreiche Analysen der Größe
präsentiert und auch dargestellt, wie stark sich die Ausstellungszucht von der Leistungszucht
differenziert hat. In der Folge hat eine Arbeitsgruppe „Größe“ Vorschläge erarbeitet, wie der
Deutsche Schäferhund wieder in die Grenzen des Standards zurückgeführt werden kann. Im kleinen
Kreis und in mehreren Sitzungen des Zuchtausschusses und der Zuchtrichter wurden Strategiekonzepte
erarbeitet, die in dem jüngst beschlossenen Zuchtplan formuliert sind. Es ist ein langfristiges
Konzept, angelegt auf mehrere Hundegenerationen.
Wer züchten will, braucht Informationen. Die Prüfung der Hunde selbst reicht für eine
effiziente Zucht nicht aus. Man braucht Kenntnis über die Eltern, wie diese bisher vererbten, über
den Hund und seine Wurfgeschwister und wenn man kritisch einen Zuchthund verfolgt, dann braucht man
die Ergebnisse in seiner Nachzucht unter Beachtung der Paarungspartner. All das ist für einen
Züchter schwer zusammenzubringen und korrekt zu werten. Eine gute EDV und eine erprobte Statistik
müssen dem Züchter das Wissen zuarbeiten.
Traditionell wurde die Größe bei der
Zuchtzulassung erfasst. Schnell wurde laut, dass diese Daten unbrauchbar seien. Parallel wurde auf
Schauen, zuerst inoffiziell, dann breit angelegt, verbindlich gemessen. Die Aussetzung der Körgrenze
von 60 bzw. 65 cm war ein wichtiger Schritt, um Abrunden zu vermeiden. Die vielen Parallelmessungen
auf den Schauen ergaben ein gutes Bild über die tatsächliche Variation in der Größe. In der unten
abgebildeten Grafik sind die Häufigkeitsverteilungen der Daten gegenübergestellt, getrennt nach
Geschlecht.
Geht man davon aus, dass Körmeister/Richter bei einem 64er-Rüden keine Maßverfälschung
durchführten, kann diese Häufigkeit als Referenz angesehen werden. Bei den althergebrachten
Messungen auf Zuchtzulassungen sind die 65er-Hunde 2,31-mal so häufig wie 64er-Hunde. Bei den
repräsentativen Messungen auf Schauen sind sie nur 1,61-mal so häufig. Das beweist, dass übergroße
Hunde auf 65 getrimmt sind. Aber nicht alle. Ein Teil der sehr großen Hunde, bis über 70 cm, ist
wohl auch auf Zuchtzulassungen nicht erschienen. Beides, also die Zusammenfassung der Tiere an der
Standardgrenze mit den leicht übergroßen Hunden sowie zusätzlich ein Fehlen der Extreme, verzerrt
das wahre Bild.
Aber das ist in der Zucht nicht außergewöhnlich. Denken wir an HD. Mehr als
60 % der Hunde sind HD-frei. Ein Durchschnitt ist so definiert, dass 50 % der Fälle darüber und 50
% darunter liegen. In den freien Tieren sind somit auch Tiere mit unterdurchschnittlichen Hüften,
die mit durchschnittlichen, sehr guten, überragenden und exzellenten Hüften zu einer Gruppe
zusammengefasst werden: HD-normal.
Wie soll man erkennen, welches die besten Tiere sind? Die
Erfahrungen im SV zeigen, dass trotz dieser Verzerrung die besten Vererber erkannt werden, eben
durch die Frequenz, mit der die Verwandten in dieser Klasse vertreten sind. Ein Probelauf nur mit
den traditionell erfassten Daten zeigte, dass die Tiere auch mit diesen Daten sehr gut im
Vererbungsniveau differenziert werden können. Die alten Daten sind als Ahneninformation daher
unverzichtbar.
Das Verfahren, um das Vererbungsniveau aller Tiere einer Population zu ermitteln, heißt Zuchtwertschätzung. Den Züchtern im SV ist das Verfahren bei HD gut bekannt. Jetzt wird es auch bei der Größe angewendet. Allen Züchtern wird in Zukunft aktuell für alle Tiere der Zuchtwert zur Verfügung stehen. Das Verfahren ist vergleichbar mit der HD-Zuchtwertschätzung, aber es gibt doch Unterschiede.
Die Berechnungen basieren auf einem gemischten statistischen Modell:
WH = Basis + genetische Abweichung von der Basis
+ Abweichung durch das Alter bis 12 Monate
+ Abweichung durch das Geschlecht
+ Abweichung durch den Geburtsmonat
+ die Summe aller sonstigen Einflüsse auf die Größe
In dieser Gleichung wird formuliert, wie die Widerristhöhe (WH) eines Tieres zustande kommt. Als
Basis wird fest das Vererbungsniveau des Jahrgangs 2015 vorgegeben, das sich aus den Zuchtwerten von
deren Eltern ergab, noch bevor die Tiere selbst gemessen wurden.
Die fixe Basis ist 64,5, was
später gleichzusetzen
ist mit dem Zuchtwert 100. Eine zweite Normierung ist, dass die Rüden als Standard gesetzt werden.
Hündinnen erhalten somit einen Zuschlag, um mit Rüden vergleichbar zu sein. Dieser Zuschlag wird
automatisch ermittelt und berücksichtigt.
Aktuell beträgt die Differenz 5,18 cm.
Werden Tiere vor dem 13. Lebensmonat gemessen, wird
dieser Messwert vorläufig einbezogen. Der Einfluss des unfertigen Wachstums wird ermittelt und auch
berücksichtigt. Vorläufig heißt, dass der Wert
ersetzt wird, wenn zu einem späteren Zeitpunkt ein neuer Wert eintrifft. Werte, die nach dem 12.
Monat eintreffen, werden in einem Durchschnitt zusammengefasst. Dieser Durchschnitt wird immer
genauer, da sich ein Teil der „sonstigen Einflüsse“,
z. B. Messfehler, im Durchschnitt aufheben.
Die Statistik hat gezeigt, dass Sommerwelpen
etwas kleiner sind als Winterwelpen. Das ist minimal, bis 1,5 mm kleiner, aber da immer ein ganzer
Wurf, manchmal mehrere Würfe eines frisch eingesetzten Rüden diesem Vor- oder Nachteil
unterliegen, ist es nützlich, den Monatseffekt zu berechnen und auszugleichen.
Die genannten Einflüsse sind die sogenannten fixen Effekte, die in dem gemischten Modell ermittelt
werden (Mixed Model Estimates). Das Wichtigste aber ist die Ermittlung der genetischen
Veranlagung. Diese genetische Abweichung von der Basis ist der Zuchtwert, die Prognose der Vererbung
(Mixed Model Prediction). Bei dieser Zuchtwertermittlung sind Vorgaben an die Statistik notwendig.
Zum einen ist es die Angabe, wie die Tiere untereinander verwandt sind, zum anderen, wie stark das
Merkmal erblich ist und wie stark/wenig wiederholte Messungen am gleichen Tier schwanken
(Wiederholbarkeit).
Die oben aufgeführte Gleichung lässt sich für jedes Tier aufstellen. Die im Modell
dargelegten Effekte sind zunächst unbekannt. Bei den derzeit mehr als eine Million gespeicherten
Hunden ergeben sich mehr als 160.000 Tiere, die gemessen
sind und/oder als Zuchttiere zur Ermittlung der Verwandtschaft beitragen. Das ergibt mehr als
160.000 Gleichungen mit ebenso vielen Unbekannten. Wird dieses Gleichungssystem gelöst, werden die
Unbekannten bekannt, d.h. für die Zuchtwerte und die fixen Effekte liegen Zahlen vor. Für die
nicht geprüften Tiere ergibt sich der Zuchtwert aus dem Mittel der Eltern. Somit haben alle Tiere
Zuchtwerte. Die Basis wird danach als 100 ausgewiesen, d. h., Hunde die nicht davon abweichen,
erhalten den Zuchtwert 100. Jeder Millimeter Abweichung wird mit einem Punkt belegt, sodass z. B.
ein Hund, der eine Vererbungserwartung von plus 1 cm hat, mit einem Zuchtwert von 110 ausgewiesen
wird. Diese relativen Zuchtwerte werden dann publiziert.
Derzeit variieren die Zuchtwerte von
63 bis 137, die kleinste Hündin ist 54 cm groß, der größte Rüde 71,5 cm.
Warum Zuchtwerte, wird man fragen, wenn man hört, dass doch Größe eine hohe
Erblichkeit hat. Das ist richtig. Die Erblichkeit, d. h., die Übereinstimmung eines Nachkommen mit
dem Durchschnitt beider Eltern, beträgt im ausgewerteten Datenmaterial ca. 50 %. Der Messfehler
beträgt ca. 25 %, die restlichen 25 %
sind nicht erbliche Einflüsse, die dauerhaft dem Hund anhaften und bei Messwiederholungen immer
wieder mitgemessen werden.
Aber Zuchtwertschätzung hat entscheidende Vorteile. Zuchtwerte
sind nicht starr, sie werden nachjustiert. Es gibt sie schon bei der Paarung, also vor der Geburt,
es gibt sie während der Aufzucht, stets aktuell, nachkorrigiert aufgrund gemessener Geschwister
voriger Würfe und/oder Onkel/Tanten/Cousins. Es gibt sie, stark korrigiert, wenn der Hund gemessen
wird, und schließlich gibt es sie, stets aktualisiert, wenn Nachzucht
auf Schauen auftritt. Zuchtwerte lassen erkennen, ob ein 65er-Hund möglicherweise kleiner oder
größer vererbt als andere 65er-Hunde. Bei allem Interesse an Zuchtwerten muss man aber wissen, dass
Zuchtwerte nur beschreibend sind. Jeder
Züchter kann für sein Zuchtziel diese Zuchtwerte einbeziehen. Eine andere Ebene ist das Zuchtziel
aus der Sicht des Vereins. Wenn der Verein sich einig ist, dass man die vielfältige Nutzung und die
gewünscht pluralistischen Zielvorstellungen der
Züchter in den Grenzen des Standards realisieren will, dann zieht nur ein Zuchtplan, um dies zu
erreichen. Derzeit muss man sich mit der Rückführung Zeit nehmen, konsequent, trotzdem behutsam in
kleinen Schritten.
Die Daten zur Größe sind in der Vergangenheit eher für den Augenblick erfasst worden. Auf der
Veranstaltung einbezogen, gespeichert und kaum noch beachtet. Der Weg vom Messen bis hin zur EDV
birgt Quellen von Fehlern.
Hörfehler, Brusttiefe im Feld der Schulterhöhe aufgeschrieben, Übertragungsfehler, Erfassungsfehler:
Es sind eben Menschen, die sich engagieren, und die haben es oft nicht leicht im Trubel der
Veranstaltung und in der Hektik des Tages. Ein Algorithmus
zur Plausibilitätsprüfung wird derzeit erprobt. Falsche Werte haben in der Zuchtwertschätzung nicht
nur Konsequenzen für den Hund, sondern auch für die Eltern und über diese auch für deren
Nachzucht. Deswegen ist es wichtig, einen
Plausibilitätsfilter vorzuschalten, der Rückfragen erzwingt. Es sind aber sehr wenige Fälle, die
absolut nicht plausibel sind. Gearbeitet wird auch an einer Dokumentation, an der nachvollzogen
werden kann, worauf der Zuchtwert basiert, wie viel Information aus dem Wissen der Elternlinien
kommt, was die Messungen am Hund beitragen und welches Zusatzwissen die bereits gemessenen
Nachkommen beisteuern. In Arbeit ist auch ein zweiter Beitrag über die Zuchtwerte und die Effekte
im ersten Rechenlauf und eine Kommentierung des Zuchtplans und der resultierenden
Erfolgserwartung.
© 2016 von Dr. Reiner Beuing
Tierzucht und angewandte Genetik,
Giessen
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